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Restorative Justice

Restorative Justice

"... Ein Täter-Opfer-Ausgleich im Strafrecht ist nicht möglich, wenn das Opfer verstorben ist. Eine Ausgleichszahlung an die Angehörigen kann daher keine Strafmilderung für den Täter eines vollendetenTötungsdelikts begründen, entschieden die Karlsruher Richter mit nun veröffentlichtem Beschluss (v. 06.06.2018, Az. 4 StR 144/18)..."

Aus den Erfahrungen des ANUAS der letzten 16 Jahre ist ein Täter-Opfer-Ausgleich in vollendeten Tötungsdelikten wirklich nicht möglich und wird auch von den Mit-Opfern (Angehörige von Tötungsdelikten) selten gewollt. Natürlich muß hier berücksichtigt werden, dass eine Strafmilderung bei schwersten Straftaten auf keinen Fall akzeptiert werden kann.

In Gesprächen mit "Mit-Opfer" wird immer wieder deutlich, dass es wichtig ist, auch mit den Einrichtungen * Behörden * Vertretern der Opferhilfe zu sprechen, einen Austausch zu ermöglichen. Viele Mit-Opfer berichten von subjektiv empfundenen Ungerechtigkeiten und Fehlverhalten im Umgang mit ihnen, nach der Straftat. Es fehlen oft Informationen, Aufklärungen zum Geschehen, mögliche Hilfen bei weiteren Aktivitäten oder Vermittlung an Helferstellen.

Oft ist von Mit-Opfern zu hören (die Reaktionen und Empfindungen sind so ziemlich gleich, bei allen Betroffenen): "... nicht nur der eigentliche Täter, der mein Kind getötet hat, hat uns Schaden zugefügt. Wer zieht die Menschen zur Verantwortung, die uns eigentlich helfen sollten und keine ausreichenden Hilfen anbieten, ja uns sogar richtig schaden. Ja oft hat es sogar den Anschein, als wüßten sie gar nicht, was sie tun sollen. Woher auch, sie haben solch ein Schicksal nicht selber erlebt. Allerdings ist der Schaden für mich und meine Familie ebenfalls sehr schlimm. ... Wir würden gerne mit den Menschen sprechen, die uns nach der Straftat diese schlimmen Erlebnisse zumuten. Mit dem Täter will ich zur Zeit keinen Kontakt, vielleicht ändert sich das mal, jetzt möchte ich ein bisschen Gerechtigkeit erfahren, indem ich die Menschen zur Verantwortung ziehe, die mir und meiner Familie geschadet haben ... Das sind für mich, in unserem individuellen Fall: Rechtsanwälte, Staatsanwaltschaft, Polizeibeamte, Versorgungsamt, Opferhilfe ..."

Aus dem Grund hat ANUAS eine neue Richtung der Restorativen Justice bei Tötungsdelikten entwickelt, welche in Deutschland bisher noch keine Berücksichtigung gefunden hat.

"Restorative Justice" ist eine Reaktion auf Delikte, die das Opfer, den Täter und die Gemeinschaft in die Suche nach Lösungen einbezieht. Die Lösungen sind auf die Wiederherstellung von positiven sozialen Beziehungen, insbesondere auf Wiedergutmachung, Versöhnung und Vertrauensbildung hin angelegt.

Dr. Dr. h.c. Michael Kilchling * Senior researcher > Max Planck Institute for the Study of Crime, Security and Law – Department of Public Law
  1. Paternalistische Tendenzen bei der Konzeption opferbezogener Angebote

Es entspricht dem gesicherten Wissensstand aus der empirischen Opferforschung, dass Opfer von Straftaten keine homogene Gruppe sind. Jeder und jede Betroffene hat individuelle Bedürfnisse und Erwartungen. Daher müssen sämtliche Opferrechte als Angebote ausgestaltet sein. Über deren Inanspruchnahme müssen die Betroffen autonom entscheiden können. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Befugnis zur Nebenklage.

In anderen Bereichen ist die wünschenswerte Autonomie der Betroffenen hingegen sehr beschränkt. Ein praxisrelevantes Beispiel hierfür ist die aktuell praktizierte Ausgestaltung des TOA. Dieser wird in der Regel von Dritten initiiert; das Opfer wird dann zumeist als letztes gefragt. Nach gängiger Praxis überweist die Staatsanwaltschaft Fälle, die sie für geeignet hält. Hält sie einen Fall für ungeeignet, hat das Opfer bislang kaum eine Chance auf Realisierung. Auch die in vielerlei Hinsicht zweifelhafte höchstrichterliche Rechtsprechung zum TOA beraubt die Opfer ihrer Autonomie.[1]

[1] Kritisch schon M. Kilchling: Opferschutz und der Strafanspruch des Staates – ein Widerspruch? Neue Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 2002, S. 57 ff.; mit ähnlichem Tenor H. Schöch: Die "unterbelichtete" Schadenswiedergutmachung gemäß § 46a StGB, in: K. Bernsmann & T. Fischer (Hrsg.), Festschrift für R. Rissing-Van Saan, Berlin/New York 2011, S. 639 ff.

Eine solche Vor-Selektion im mutmaßlichen (!) Interesse des Opfers ist paternalistisch und missachtet die Autonomie der Opfer. Diese haben in den allermeisten Fällen lediglich ein negatives Entscheidungsrecht (Ablehnung im Falle einer entsprechenden Anfrage einer Ausgleichsstelle). Stattdessen sollten Opfer eine echte, selbstbestimmte Wahlmöglichkeit haben, die insbesondere auch die Möglichkeit für eine pro-aktive Nachfrage umfasst.

Diesen Ansatz hat inzwischen auch der Europarat aufgegriffen und unterstützt in der sog. Venedig-Erklärung der Justizministerinnen und -minister die Einführung eines Rechts auf Restorative Justice.[2]

[2] Venice Declaration on the Role of Restorative Justice in Criminal Matters, on the occasion of the Conference of the Ministers of Justice of the Council of Europe "Crime and Criminal Justice – the Role of Restorative Justice in Europe", Venedig, 13./14. Dezember 2021, Pkt. 15 (i.), https://rm.coe.int/venice-ministerial-declaration-eng-4-12-2021/1680a4df79; ausführlicher dazu M. Kilchling: Für ein Recht auf RJ – Unterstützung durch den Europarat. TOA-Magazin 1/2022, S. 7 ff.

Das schließt eine adäquate Information der Opfer über verfügbare Ausgleichsangebote ein. Dieses Informationsrecht ist bereits in der EU-Opferrechtsrichtlinie ausdrücklich normiert.[3] In Deutschland ist auch dieses Informationsrecht nur unzulänglich umgesetzt.[4]

[3] Art. 4 Abs. 1 (j) RL 2012/29/EU.

[4] Ausführlicher auch hierzu M. Kilchling, aaO. (2022).

Restorative-Justice-orientierte Angebote könnten in diesen Fällen eine sinnvolle Ressource sein, um Opfern auch außerhalb des Strafprozesses mehr Gehör zu verschaffen. Dies kann zu einem positive(re)n Empfinden von Verfahrensgerechtigkeit beitragen. In anderen Verwaltungszweigen[5] sind Mediationsverfahren mit betroffenen Bürgerinnen und Bürgern längst etabliert.

[5] Baurecht, Umweltrecht und Sozialrecht sind nur einige praxisrelevante Beispiele; vgl. dazu Haft, F. et al., Handbuch Mediation, 3. Aufl. 2016.

Wie ist die Rechtslage in Deutschland zur Anerkennung der Angehörigen von Tötungsdelikten = Mit-Opfer?

ANUAS stellt immer wieder fest, dass die Angehörigen von Tötungsdelikten = Mit-Opfer allgemein als "normale" Hinterbliebene gesehen und behandelt werden. Die Achtung als hinterbliebenes Gewaltopfer wird kaum anerkannt. Der Unterschied ist enorm: Für "Mit-Opfer" ist das in der Regel eine Missachtung und fehlende Akzeptanz der Tragweite des Geschehens. Es ist ein Unterschied, ob ein Mensch stirbt, weil er krank oder alt war ... oder ... ob der Mensch an einer grausamen Gewalttat zu Tode kam.
Entsprechend der EU-Richtlinie zum Mindeststandard für Gewaltopfer haben Angehörige gewaltsamer Tötung den Opferstatus und müssen so behandelt werden, wie das Opfer selbst, wenn es überlebt hätte. Mit-Opfer berichten dem ANUAS oft, dass andere Opferstellen den betroffenen Menschen sagen "... Sie sind doch kein Opfer, lassen Sie sich doch nicht zum Opfer machen ...". Das ist natürlich fatal, auch hier fehlt die Anerkennung und Achtung dieser Betroffenengruppe, die durch eine todliche Gewalttat Schaden erlitten hat.

Dr. Dr. h.c. Michael Kilchling * Senior researcher
Max Planck Institute for the Study of Crime, Security and Law – Department of Public Law

... hat geforscht, wie die Opferrechte und der Opferschutz in Deutschland umgesetzt sind.

Ein wichtiger Punkt, der den ANUAS betrifft: ...

Mangelnde rechtliche Anerkennung Angehöriger als originäre Opfergruppe

Der rechtliche Status von Angehörigen unmittelbar betroffener Opfer...

Der rechtliche Status von Angehörigen unmittelbar betroffener Opfer ist in Deutschland nach wie vor unzureichend. Dabei sind die Belastungen, denen sie ausgesetzt sind, weithin anerkannt. Das gilt insbesondere für Familienangehörige Getöteter. Der Pionier der deutschen Viktimologie Hans-Joachim Schneider hat bereits in den frühen 1990er Jahren darauf hingewiesen, dass Angehöre häufig ebenso gravierende Traumatisierungen und weitere psychologische Schädigungen davontragen wie die unmittelbar betroffenen – direkten – Opfer; mitunter leiden sie sogar stärker. Er hat sie daher zutreffend als „Mit-Opfer“ bezeichnet.
Dieser Ansatz wurde in der EU-Richtlinie 2012/19/EU ausdrücklich aufgegriffen:
• Gemäß Art. 2 Nr. 1a (ii) der RL sind Opfer – neben der direkt betroffenen Person gem. Art. 2 Nr. 1a (i) – auch Familienangehörige einer Person, deren Tod eine direkte Folge einer Straftat ist, und die durch den Tod dieser Person eine Schädigung erlitten haben. Ergänzend definiert Art. 2 Nr. 1b sodann den Kreis der Familienangehörigen: der Ehepartner des Opfers, die Person, die mit dem Opfer stabil und dauerhaft in einer festen intimen Lebensgemeinschaft zusammenlebt und mit ihm einen gemeinsamen Haushalt führt, sowie die Angehörigen in direkter Linie, die Geschwister und die Unterhaltsberechtigten des Opfers.
Diese Definition ist von den Mitgliedsstaaten zwingend im nationalen Recht umzusetzen. Die EU-Kommission betont in ihrem Bericht zur Umsetzung der Richtlinie 2012/29/EU in den Mitgliedsstaaten die besondere Bedeutung der Begriffsbestimmung von „Opfer“ und rügt die unzureichende Umsetzung in zahlreichen Mitgliedsstaaten.
• Entweder fehlt die Begriffsbestimmung von „Opfer“ gänzlich oder es wurde nicht präzisiert, dass Familienangehörige eines verstorbenen Opfers als Opfer einzustufen sind. Dadurch werden die Rechte dieser Familienangehörigen eingeschränkt.
Das Europäische Parlament hat diesen Punkt ebenfalls aufgegriffen und rügt die unterschiedliche Definitionspraxis der Mitgliedstaaten bei zentralen Begriffen:
• Am stärksten schlagen hierbei Unterschiede bei der Begriffsbestimmung von „Opfer“ zu Buche, die mit sich bringen, dass sich der Begriff je nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften unterschiedlich weit erstreckt, beispielsweise auf Familienangehörige.
Diese Kritik trifft auch auf die deutsche Regelung in § 373b StPO zu. Der Wortlaut ist – scheinbar – weitgehend an den Wortlaut der Richtlinie angelehnt. In den Empfehlungen zur Umsetzung der Richtlinie hatte die Kommission den Mitgliedsstaaten explizit empfohlen, nicht an ihren bisherigen Definitionen festzuhalten, sondern die EU-Definition quasi eins zu eins zu übernehmen. Dessen ungeachtet hielt der Gesetzgeber an dem traditionellen deutschen Verletztenbegriff fest; die indirekten Opfer (Familienangehörige im Sinne der EU-Richtlinie) sind formal jedoch gerade nicht als „Verletzte“ definiert, sondern diesen in einem gesonderten Absatz lediglich „gleichgestellt“ (§ 373b Abs. 2). Die Folgen dieser formalen Differenzierung sind weitreichend. ANUAS weist regelmäßig auf die praktischen Konsequenzen hin.

(1) H.-J. Schneider: Viktimologie, in: Sieverts/Schneider (Hg.), Handwörterbuch der Kriminologie Bd. 5, Berlin 1991, S. 405ff., 406. Siehe dazu auch M. Kilchling: Opferinteressen und Strafverfolgung, Freiburg i.Br. 1995.
(2) Richtlinie 2012/29/EU vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI, O.J. L 315, S. 57.
(3) Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Umsetzung der Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/J (COM/2020/188 final), https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020DC0188.
(4) EU-Kommission, Evaluationsbericht, aaO., S. 4.
(5) Europäisches Parlament, Bericht über die Umsetzung der Richtlinie 2012/29/EU über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten vom 14.5.2018, A8-0168/2018, http://www.europarl.europa.eu/.../A-8-2018-0168_DE.html.
(6) Europäische Kommission, DG Justice Guidance Document related to the transposition and implementation of Directive 2012/29/EU, Ares(2013)3763804 – 19/12/2013, S. 11.

ANUAS-Projekte zur Restorativen Justice:

1. Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Mit-Opfern und JVA's-Insassen

Mitopfer berichten über Auswirkungen nach einer gewaltsamen Tötung

PDF-Datei mit dem Bericht von Charlotte Uceda Camacho in der Anstaltszeitung "Reizverschluss" der JVA Burg - Ausgabe Nr.: 24 01/2020
Bitte Bild anklicken - PDF-Datei öffnet sich

2. Theaterstücke - nonverbale Kommunikation als Kommunikationsmöglichkeit und Sensibilisierung in der Gesellschaft

Ein Theaterstück: nonverbale Kommunikation "Eine Geschichte über Täter und Opfer"
In dem Film haben Mit-Opfer und Nichtbetroffene in unterschiedlichen Rollen gemeinsam gespielt. ANUAS hat Betroffenenkompetenz und Fachkompetenz zusammengebracht. In den Theaterstücken konnten sich alle Spieler in die jeweilige Rolle einfügen und erleben, in welcher Situation sich Menschen wie fühlen.

Nonverbale Kommunikation zur Aggressions- und Stressbewältigung

3. Sachberichterstattung über Publikationen

ANUAS-Publikation

„Schicksalswege“

Vorwort von Sylvi Jonathan

"Sylvi, wollen wir gemeinsam ein bundesweites Buchprojekt umsetzen, in welchem beschrieben wird, wie es Familien nach einer gewaltsamen Tötung eines Angehörigen geht?“

So erreichte mich vor einigen Jahren eine Sprachnachricht per Whats App von der Vereinsvorsitzenden des Bundesverbandes ANUAS e.V., Marion Waade.

„An dem Projekt sollen betroffene Angehörige, nichtbetroffene Interessierte und Fachleute mitschreiben. Jeder erhält eine Stimme.“

Ich stand auf einem Bahnhof, irgendwo in Deutschland und merkte, diese Idee fesselte mich.
So ein Buch könnte betroffenen Angehörigen von Mordfällen helfen, sich in unserer Gesellschaft Gehör zu verschaffen. Diese betroffenen Menschen werden durch dieses Buch Aufmerksamkeit erhalten, Aufmerksamkeit, was wirklich passiert, welche Auswirkungen so eine Gewalttat hat ... und welche Hilfen benötigt werden oder womöglich nicht passend sind.

Es verging einige Zeit bis wir dann soweit waren und das Projekt bundesweit vorstellen konnten. Eine erste Gruppe fand sich zusammen, Ideen wurden entwickelt und wieder verworfen, Projektgelder mussten beantragt werden.

Wir fingen ganz am Anfang an. Die bekannte Autorin und Lektorin, Maike Frie unterstützte uns dabei. Wie schreibt man ein Buch? Was ist dafür nötig? Wie erfindet man eine Geschichte, wie entwickelt man die Handlung und die handelnden Personen?

Dann war es soweit, alle Teilnehmer hatten viel gelernt, und wir hatten uns über den Inhalt und die Vorgehensweise geeinigt. Anhand einer fiktiven Betroffenenfamilie, die stellvertretend für viele Betroffenenfamilien steht, soll aufgezeigt werden, was nach einem Mord innerhalb der Gesellschaft, dem sozialen Umfeld, der Familie passieren kann. Welche Probleme können auftreten und wie kann man diese lösen?
Welche Rechte hat man eigentlich? Welche Hilfen stehen betroffenen Angehörigen zu?

Besonders wichtig war uns in der Geschichte aufzuzeigen:
Wie gehen verschiedene Religionen, Kulturen, Menschen mit einem solchen oder ähnlichen Schicksalsschlag um?
Was könnte helfen, um sich in der Gesellschaft und mit sich selbst wieder zurecht zu finden?
Es sollten im Buch Angebote unterbreitet werden, die Betroffene kennen lernen, welche aber nicht angenommen werden müssen, wenn das für die Familien nicht stimmig ist.

Ja, wie setzt man dieses große Vorhaben nun um? Wir haben lange in gemeinsamen Workshops bundesweit überlegt und diskutiert. An diesen Workshops nahmen betroffene Angehörige von Mord, Gewaltopfern allgemein, … jeden, den es interessierte, teil. Jeder kann sich beteiligen, wie er es schafft und möchte.
Letztendlich haben wir entschieden, dass der Leser gemeinsam mit Opa Paul und Enkel Kasimir um die Welt reisen soll.

In weiteren Workshops wurden Aufgaben besprochen und verteilt.
Wer schreibt über welches Land?
Wer möchte über die Auswirkungen schreiben? Wer über Therapiemöglichkeiten? Wer malt die Bilder? Wie soll das Cover aussehen und wer gestaltet dieses?

Auf diese Art und Weise konnten sich Betroffene und Nichtbetroffene von Mordfällen zusammen tun und sich auf eine ganz besondere Weise austauschen.
Jeder Teilnehmer hatte die Möglichkeit, sich einzubringen. In den Geschichten konnten sie über die Dinge schreiben, die ihm wichtig sind.
Der eine hat viel über den Glauben geschrieben, der nächste über die heilsame Kraft der Natur und wieder andere über Therapie- oder spirituelle Möglichkeiten.

Wie überall, wo viele Menschen zusammen arbeiten, gab es Unstimmigkeiten, mussten Kompromisse gefunden werden.
Einige der betroffenen Mitschreiber haben sich überschätzt und sind vom Schreibprojekt wieder abgesprungen. Immer wieder kam es zu Stillständen, wenn jemand überfordert war.

Einigen Teilnehmern fiel es immer wieder schwer, sich an vereinbarte Fristen zu halten.
Aber fast alle entdeckten das Schreiben neu für sich und merkten, wie entspannend und entlastend dies sein kann.

Zum Ende hin, war nur noch ein harter Kern übrig, der dann aber auch alles gab.
Die eingereichten Geschichten mussten angepasst, die entsprechenden Ergänzungen und Übergänge geschrieben werden.

Der anstrengende Teil begann.
Immer und immer wieder musste noch was umgeschrieben und recherchiert werden.
Verschiedene Leute haben Probe gelesen und das Feedback musste verarbeitet werden. Noch mehr Ergänzungen wurden nötig.
Dann musste alles wieder gesichtet und auf inhaltliche Fehler und zum Schluss auf Rechtschreib- und Grammatikfehler überprüft werden.
Überlegungen zu Vorworten, Anhängen, Inhaltsverzeichnis wurden gemacht. Die Covergestaltung erwies sich als komplizierter als gedacht.

Ich glaube, keinem war am Anfang bewusst, was für ein riesiges Projekt wir da starten, und was für eine immense Arbeit das wird.
Umso stolzer können wir nun sein, dass es geschafft ist und Sie, lieber Leser, das Buch nun in ihren Händen halten.

Sind Sie ein Betroffener?
Haben Sie durch Mord einen Angehörigen, Freund oder Bekannten verloren?
Dann wünsche ich Ihnen ganz viel Kraft, und hoffe unser Buch kann Ihnen helfen ihre Schicksalswege zu meistern.

Oder gehören Sie einer Berufsgruppe an, die mit betroffenen Angehörigen von Mordfällen zu tun hat?
Vielleicht hilft Ihnen dann unser Buch etwas besser zu verstehen, welche Hürden Betroffene überwinden müssen. Sie werden erkennen, welche Schwierigkeiten und Aufgaben betroffene Familien meistern müssen, und wie schwer es für diese oft ist, ihr Leben weiter leben zu können.
Schicksalswege, welche diesen Menschen auf unterschiedlichen Ebenen begegnen können. Schicksalswege, die gegangen werden müssen, und wobei Sie, lieber Leser und Helfer womöglich unterstützen können.

Eventuell halten Sie das Buch zufällig und aus Neugier in Ihren Händen?
Dann seien Sie offen und neugierig auf eine Reise durch die Welt, und begleiten Sie Familie Lehmann auf verschiedenen Schicksalswegen.

Warum auch immer, ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung beim Lesen. Auf Ihren eigenen Schicksalswegen alles Gute und immer Menschen, die Ihnen zur Seite stehen.

Herzliche Grüsse
Sylvi Jonathan
Leiterin der bundesweiten Schreibwerkstatt des ANUAS e.V.

Vorwort von Marion Waade

Der ANUAS wurde 2008 gegründet, als Betroffenenorganisation, in der betroffene Angehörige gewaltsamer Tötung, zweifelhafter Suizide, Täterangehörige und Angehörige von Vermissten Unterstützung in Form der Information, Beratung und Weitervermittlung erhalten. Unabhängig davon koordinieren betroffene Angehörige die Hilfe zur Selbsthilfe für sich gegenseitig.

Immer wieder mußte ich in den Jahren feststellen, dass die Angehörigen nicht ausreichend gehört werden. Tag für Tag suchen Gewaltopfer den Rat des ANUAS. Dabei wird vermehrt deutlich, dass die Betroffenen nicht gefragt werden, was sie brauchen, welche Hilfen sie benötigen.

Die betroffenen Menschen und damit verbunden ihre Fälle sind sehr individuell und müssen auch so gesehen und gewertet werden. Welche Hilfen sie möchten und brauchen, entscheiden die Betroffenen selber. Sicherlich werden Hilfsangebote zu unterschiedlichen Zeiten genutzt, auch das wird selber eingeschätzt.

Der ANUAS spricht sich seit Jahren für eine Netzwerkarbeit der Opferhelfer und -begleiter aus. Betroffeneneinrichtungen werden bisher nicht vollumfänglich in diese Zusammenarbeit einbezogen. Damit bleiben das Verständnis und die Anerkennung von Nichtbetroffenen auf der Strecke. Es wird oft von fachlicher Kompetenz gesprochen. Wer könnte eine größere Fachkompetenz in Opferfragen besitzen, wie die Opfer selber, wenn es um Verständnisfragen zur persönlichen Integrität geht. Diese Thematik macht Berührungsängste.

Subjektiv wird vorausgesetzt, dass Menschen, welche einen Todesfall in ihrer Familie erlebt haben, sich zwingend ihrer Trauer- und Traumaverarbeitung widmen müssen. Fast regelmäßig hören wir beim ANUAS „… dafür habe ich gar keine Zeit, … damit kann ich mich im Moment nicht beschäftigen, weil noch ganz andere Sachen offen sind, die mich belasten …“. Auf die Frage, was sind die anderen Sachen, kommt die Antwort: „… Stress, Diskriminierungen, Ungerechtigkeiten, Menschenrechtsverletzungen …“.

Richtig, bevor diese Punkte nicht geklärt sind, kann man sich nicht in Ruhe dem Thema Trauer widmen.

„Trauer“, bei den meisten Menschen ist das eine höchst intime und persönliche Angelegenheit. Es gibt etliche kulturelle Unterschiede, welche verschieden mit der Thematik umgehen.

So zum Beispiel bat eine türkische Familie, nach dem Mord an ihrem Sohn, um einen Beratungstermin beim ANUAS. Das Gespräch hatte noch nicht richtig begonnen, da wurde der ANUAS-Vertreterin sofort mitgeteilt: „Kommen Sie uns nicht mit irgendeiner Trauer oder so … wir machen das innerhalb der Familie aus und möchten unsere Privatsache nicht in der Öffentlichkeit breittreten…“

Zum ANUAS kommen Betroffene aus allen Kulturen und jeder geht anders mit seinem Betroffenenfall um, jeder benötigt und erwartet Hilfen, die für sie passend erscheinen.

Etliche Hilfsmöglichkeiten sind den Betroffenen nicht bekannt, eine Benennung und Darstellung dieser in kurzer Zeit ist unmöglich und würde die Angehörigen überfordern.

Mit dem Buch „Schicksalswege“ bietet ANUAS den Betroffenen die Möglichkeit, darzustellen, was ihnen wichtig ist. Die Familie Lehmann steht fiktiv für viele Betroffenenfälle und deren Erfahrungen, welche sie in Verbindung mit der Straftat gemacht haben. Gleichzeitig wird in dem Buch die Möglichkeit durch den ANUAS genutzt, auf möglichst viele Hilfsangebote hinzuweisen. Ob diese Angebote dann von den Betroffenen genutzt werden, liegt bei den Angehörigen selber.

Die Besonderheit dieses Buches ist vor allem, dass sehr viele Menschen an dem Werk gearbeitet haben. Betroffene und Nichtbetroffene, Vertreter aus allen Bereichen der Gesellschaft haben sich ausgetauscht, sich und ihre Bedürfnisse kennen gelernt und gemeinsam gestaltet.

Es wurden Erfahrungen und Meinungen der bundesweiten ANUAS-Themenwochen mit einbezogen, … kreative Techniken, Verarbeitungs-Rituale, Facetten der Trauer vorgestellt, … aber auch über Opferrechte informiert.

Die Idee zu diesem Buch entstand zum ersten Mal 2014 mit Praktikanten beim ANUAS, angehende Psychologen. Da Praktikanten immer nur für eine kurze Zeit beim ANUAS tätig sind und dann nach Ihrem Abschluß in der Regel eigene Praxen eröffnen, wurde das Projekt schnell verworfen. Die ersten Ideen blieben tief in der Ablage.

ANUAS entwickelte im Laufe der Jahre eine online-Schreibtherapie. Die Nachfrage war enorm „heimlich schreiben“ wurde gerne genutzt „offen schreiben mit anderen Teilnehmern“ war eher nicht so gefragt.

Im Laufe der Jahre wurde das Schreiben beim ANUAS gefördert, in der Form, wie die Teilnehmer dieses selber wollten. Erstaunlicherweise waren gerade die Nichtbetroffenen der Meinung, dass Trauergeschichten und Trauergedichte geschrieben werden müßten. Die Reaktion der Betroffenen ging eher in die Richtung, dass sie genau das nicht wollten „… die verstehen nicht, was wir wollen und brauchen…“.

Es erfolgt beim ANUAS eine bundesweite Ausschreibung einer Verantwortlichen für eine zukünftige Schreibwerkstatt, die alle Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbrachte bzw. offen dafür war, sich diese anzueignen, um auf die Wünsche und Bedürfnisse Betroffener einzugehen. Es gab sehr viele Interessenten, die sich jedoch völlig überschätzten. Der ANUAS hat ein Konzept von den Interessenten erbeten, die 2014 in der Versenkung der ANUAS-Ablage verstaubte Buchidee aufzugreifen.

Eine einzige dieser Bewerber hat sich dieser Herausforderung gestellt. Als Leiterin der bundesweiten ANUAS-Schreibwerkstatt, mit Unterstützung des Bundesverbandes ANUAS e.V. hat Sylvi Jonathan dieses Projekt wieder auf den Weg gebracht. Sie scheute keine zusätzlichen Arbeiten und Fortbildungen. Sie nahm an Schreibkursen, Malkursen u.ä. Aktivitäten teil.

Sylvi Jonathan hat mit ihrer Schreibgruppe ein fantastisches Werk entwickelt, von der Ideenfindung bis zur Fertigstellung. Sie hatte es sicherlich nicht leicht, sie hat aber trotzdem nicht aufgegeben.

Beratende Unterstützung erhielt sie vom Wissenschaftlichen Beirat des ANUAS, welcher sich aus Fachleuten unterschiedlicher Berufsgruppen zusammensetzt.

Weitere Teilnehmer, die besondere Talente und Ressourcen besitzen, brachten sich gerne in das Projekt mit ein, um Grafiken und Bilder zu gestalten. Jeder nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten!

Ich bin sehr stolz auf die betroffenen Angehörigen, Gewaltopfer und psychisch kranke Menschen, sowie Mitglieder des ANUAS, die gemeinsam ihr bestes gegeben haben, damit so ein tolles, einmaliges Werk entstehen kann.

Das Buch wird kriminal-, gesundheitspräventiv und integrativ vielen Menschen weiter helfen, ob für die eigene Bewältigung oder für den Perspektivwechsel in der Opferbegleitung und Opferberatung.

Von der Gesellschaft wünschen wir uns Offenheit für das Thema der Gewaltopfer und des ANUAS, als Betroffenen-Opferhilfs- und Selbsthilfeorganisation. Wir können viel voneinander lernen.

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern eine informative und interessante Lektüre.

Herzlichst

Marion Waade – Bundesvorsitzende ANUAS e.V.

Vorwort von Sabine Angermann

Als mich vor zirka eineinhalb Jahren meine Freundin Sylvi Jonathan fragte, ob ich nicht Lust hätte an einem Buch mitzuschreiben, war ich hell auf begeistert.

Sie berichtete mir in Funktion als Leiterin der bundesweiten Schreibwerkstatt des ANUAS e. V. und ich war sofort bereit an diesem Buch mitzuwirken. Zwar bin ich keine betroffene Angehörige, welche sonst der ANUAS unterstützt, dennoch habe ich eigene Erfahrungen mit Therapien. Mir wurde dann erklärt, dass an diesem Buch Betroffene und Nichtbetroffene mitschreiben dürfen.

Also setzte ich mich noch am selben Abend hin und begann mit meiner ersten Geschichte. Anfangs war es wie ein Rausch und das Schreiben tat meiner seelischen Stabilität unwahrscheinlich gut.

Die Anerkennung von Marion und Sylvi ließen auch mein Selbstwertgefühl steigen. Trotzdem gab es auch Phasen, in denen ich sehr instabil war, und mir das Schreiben sehr schwer fiel. Doch das Schreiben hat mich dann auch wieder aus meiner Lethargie geholt. Es ist für mich zu einer guten Therapie geworden.

Ich bin stolz, dass ich an diesem Buch mitwirken durfte, und freue mich jetzt schon auf weitere interessante Schreibprojekte.

Sabine Angermann - Psychiatrieerfahrene

Vorwort von Dr. Lothar Deren

Ich wurde gebeten ein Vorwort zu diesem Gemeinschaftswerk zu schreiben, was ich aus psychologischer und ethnologischer Sicht sehr gerne tue.

Menschen sind eigenständige Individuen die in unterschiedlichsten sozialen Gruppen, mit verschiedenen kulturellen Praktiken und Ideen leben, die zugleich stets im Zusammenhang mit politischen bzw. ökonomischen Strukturen stehen.

Opa Paul(e) und sein Enkel Kasimir begeben sich nach einer Gewalttat an der Schwiegertochter / Mutter, die tödlich endete auf eine Weltreise. Sie hatten das Bedürfnis, menschliche Lebenspraktiken, kulturelle Unterschiede, Rituale und Religionen gegenwartsbezogen zu erleben. Wie erleben Menschen anderer Kulturen die Auswirkungen nach einem Todesfall und wie erfahren sie womöglich die Auswirkungen im Rahmen der Globalisierung. Wie erleben Menschen die damit verbundenen Transformationen, welche durch das eigene Handeln selbst aktiv mitgestaltet wurde.

Das Buch ist aus psychologischer Sicht ein hilfreiches Werk, welches Bewältigungsansätze aufzeigt. Ein Trauma eigenständig zu be- und verarbeiten ist fast unmöglich. Das Zusammenspiel vieler Faktoren ist ausschlaggebend für den Erfolg. Welche Faktoren meine ich? Es geht um eigene Ressourcen * Widerstandskraft * Selbstvertrauen * Achtung und Respekt * Sinn für einen Neuanfang finden. Es geht nach einem schweren Trauma um Entlastung, Stabilität und Vertrauensaufbau. Erst dann ist der Mensch in der Lage diese benannten Faktoren zu aktivieren und entsprechend einzusetzen.

Was ist in diesem Buch passiert? Ein Mensch wird getötet, der Grund dafür spielt vorerst in der Opferfamilie keine Rolle. Einem Menschen ist Gewalt angetan worden, er ist daran verstorben … und diese Tat ist nicht wieder gut zu machen.

Eine schwere Last muß die gesamte Familie tragen. Eine Last, die Auswirkungen für alle hat und mögliche Entwicklungstendenzen aufzeigt.

An erster Stelle steht Entlastung. Wie kann diese Entlastung aussehen? Im Buch wird es beschrieben, Opa Paul unternimmt mit seinem Enkel eine Reise, um eine schöne gemeinsame Zeit zu verbringen. Sie sehen sich in anderen Ländern tolle Sehenswürdigkeiten an * lernen nette Menschen kennen * verbringen mit diesen Menschen gemeinsame Zeit * erfahren mehr über Bewältigungstechniken, Rituale und Glaubenssätze.

Wie sieht die Entlastung aber für Thorsten aus? Der langjährige Freund der Familie, Lothar, der gleichzeitig auch noch Psychologe ist, begleitet und unterstützt Thorsten. Dabei läßt Lothar Thorsten selber entscheiden, was er machen möchte, um mit bestimmten Situationen umgehen zu können. Lothar erklärt umfangreich über Therapieansätze * besucht mit ihm Opfereinrichtungen / Hilfsstellen * bezieht Thorsten in Gespräche zu Opferrechten ein … Lothar „nimmt Thorsten an die Hand“, läßt ihm aber trotzdem eigenen Gesprächs- und Handlungsspielraum. Gemeinsam besprechen, planen und führen sie die Aktivitäten durch.

Wenn ausreichend für Entlastung gesorgt ist, ist der Mensch in der Lage sich zu stabilisieren. Die Stabilität ist nötig, um seinen Tagesablauf und weitere Vorgehensweisen umzusetzen. Die Stabilität ist wichtig, um im gesellschaftlichen Kontext funktionieren zu können. Das Trauma, welches schwere Auswirkungen im Gehirn hinterlassen und damit zu massiven gesundheitlichen Einschränkungen führen kann, wird bearbeitet. Aktivitäten zur Bearbeitung eines Traumas oder Trauer müssen nicht die Dinge sein, die vorher durchgeführt wurden. Ein Neuanfang beginnt. Ein Neuanfang bedeutet, dass Zeit, Raum und Ruhe … eben Entlastung und Stabilität gegeben sind, um sein Leben neu zu ordnen. Ein Grund wird gefunden, warum das Leben weiter, trotz der schlimmen Gewalttat Sinn macht. Für diesen Sinn lohnt es sich, zu kämpfen und aktiv zu werden.

Im Buch werden mehrfach Ansätze und Beispiele aufgezeigt, die der Familie einen Sinn in ihrem Neuanfang, in ihrem weiteren Leben geben. So z.B. traumatische Lebensereignisse anderer Menschen * viele neue Freunde * eine kleine Form der Gerechtigkeit, … und letztendlich das neue Familienmitglied, die Hündin Bonnie, die das gleiche Schicksal teilt wie Kasimir, … aber vor allem auch der Zusammenhalt der Familie, trotz drohender Katastrophen, … und nicht zu vergessen, der Kontakt und die sich anbahnende Freundschaft mit der Täter- Familie.

Ein ständiges Auf- und Ab, beispielsweise als der Täter im Rahmen der Resozialisierung vorzeitig entlassen wird und die Stabilität der Familie droht erneut zusammenzubrechen. Nein, die Gefahr kann abgewandt werden. Der Täter muß für seine Tat eigenständig einstehen und mit dem Wissen leben, dass diese Tat schwer auf einer Familie lastet.

Durch ausreichende Entlastung und Stabilität ist ein Vertrauensaufbau möglich. Das Urvertrauen, was vorher völlig zerstört war: Glaube an die Unversehrtheit * Annahme, dass die Welt verstehbar ist * Überzeugung, selbst wertvoll zu sein * Annahme, anderen Menschen vertrauen zu können … kann wieder Stück für Stück aufgebaut werden.

Entlastung, Stabilisierung und Vertrauensaufbau findet sich ebenso im Coverbild wieder. Menschen gehen ihren eigenen Schicksalsweg. Sie werden von Schicksalsschlägen getroffenen, Freunde oder Angehörige hinterlassen Spuren auf diesem Weg. Auf dem Weg kann viel passieren, … Wege können sich trennen, man entscheidet sich für einen anderen Weg, diesen zu gehen, … Wege werden steinig, es wird kompliziert, … Helfer bieten Brücken an, die man nutzen kann, oder zu gefährlich erscheinen.

Jeder Mensch entscheidet selbständig, welche Wege er gehen will, welche Brücken-Hilfen er nutzen möchte und welche nicht.

Das Leben fordert den Menschen oft Unwahrscheinliches, scheinbar Unlösbares ab. Es fließen Tränen der Freude und der Trauer. Diese Tränen sind oft so viel, dass sie wie Wasserfälle in die Tiefe stürzen und in einem Flußbett für neue Zwecke gesammelt werden. Alles im Leben fließt, alles bewegt sich. So ist es auch beim Menschen und bei Schicksalsschlägen.

Der Regenbogen, wieso ein Regenbogen? In meiner jahrelangen Arbeit mit Menschen habe ich in Imaginations- und Malkreisen die Erfahrung gemacht, dass Menschen die Verbindung zu ihrem toten Angehörigen symbolisch in einem Regenbogen verstehen und zeichnen. Ein elfjähriges Mädchen sagte mir dazu vor einigen Jahren: „… Ich bin auf der Erde, meine Mama ist im Himmel. Der Regenbogen verbindet uns. Das ist schön und wenn ich daran denke, wird mir ganz warm ums Herz, dann ist meine Mama bei mir. Der Regenbogen macht es möglich, dass meine Mama immer bei mir ist…“. Diese Erklärung ist eine wunderbare Version der Bewältigung.

Die Kugel in der Mitte mit den vielen transparenten Gesichtern symbolisiert für mich die Weltkugel und die vielen Menschen der Welt, unterschiedliche Kulturen, die Schicksalswege gehen und bewältigen. Einige wenige dieser Menschen haben Kasimir und Opa Paul womöglich auf ihrer Reise kennen gelernt.

Auf dem Bild sind zwei Hände zu sehen. Hände, die sich Menschen reichen, weil sie Freunde geworden sind, oder weil sie Frieden miteinander schließen. Ein gesellschaftliches Anliegen ist es, in Frieden und Eintracht miteinander zu leben. Für Menschen mit unterschiedlichen Charakteren und Bedürfnissen wird das nicht immer einfach sein. Das Sprichwort „wo gehobelt wird, fallen Späne“ treffen auf alle Lebensereignisse zu. Menschen, die aktiv sind, werden Nutzen oder Schaden anrichten. Es gilt in erster Linie um die Schadensbegrenzung. Wenn etwas Schlimmes passiert ist, hat man zwei Möglichkeiten: man wird selber zum Täter und bleibt Opfer, oder man versucht als Mensch der normalen Gesellschaft sein Leben neu aufzubauen, aus der Opferrolle zu schlüpfen. Der Täter muß sein Leben ebenso weiterleben, wie das Opfer bzw. die Opferangehörigen.

Für seine Taten wird er zur Verantwortung gezogen, auch wenn ein Urteil zu milde erscheint. Er muß mit dem Wissen weiterleben, dass er einen Menschen unachtsam getötet hat und damit dem Mann die Frau … dem Kind die Mutter genommen hat.

Familie Lehmann schafft es im Buch gut, trotz des Dramas weiter zu leben.

Wie Thorsten sagt

„… ich werde nicht vergeben. Vergeben heißt, dass ich etwas gebe, etwas verschenke. Ich werde dem Menschen, der mir einen geliebten Menschen genommen hat, kein Geschenk machen. Ich kann versuchen zu verzeihen, eine Tat zu verzeihen, die eigentlich nicht verzeihbar ist … Ana wird nicht wieder lebendig und das Leben meiner Familie geht weiter. Wir möchten mit dem Menschen, der so viel Leid über uns gebracht hat, nichts zu tun haben. Wir wünschen ihm aber für sein weiteres Leben alles Gute…“

Das ist eine Einstellung, die akzeptiert werden muß. Thorsten hat abgeschlossen mit der Straftat und sieht seinen Sinn nicht in der Rache oder Lynchjustiz, sondern in einem Neuanfang mit seiner Familie.

Erstaunlich ist der Wunsch, den engeren Kontakt zur Täterfamilie aufrecht zu halten. In meiner Praxis habe ich wirklich einige wenige Fälle erlebt, die ebenso gehandelt haben. Zwischenmenschliche Beziehungen werden so gelebt, wie die Beteiligten dieses für sich als gut empfinden.

Im Buch „Schicksalswege“ werden einige dieser Bewältigungsversionen aufgezeigt, die zum Nachdenken anregen. Es ist für mich immer wieder schön zu sehen, welche Möglichkeiten betroffene Menschen für sich finden und damit glücklich sind.

Das Buch ist für mich ein ausgezeichnetes Werk, an dem Menschen unterschiedlicher Schicksale (betroffen oder nicht) gearbeitet haben. Ich wünsche mir, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen, wie auch Fachleute mit Opferbezug dieses Werk gut lesen und verstehen.

Den Betroffenen wünsche ich viel Kraft für ihren Lebensweg. Auf einen guten Austausch und eine gute Freundschaft mit Thorsten, Opa Paul, Kasimir und Lothar...

In diesem Sinne herzliche Grüße

Prof. Dr. Lothar Deren

Einleitung

Nach dem gewaltsamen Tod an Ana Lehmann stellt das Schicksal die Familienangehörigen auf eine harte Probe. Die unterschiedlichen Auswirkungen der Gewalttat sowie der folgenden Stresseinwirkungen auf die Familienmitglieder drohen die Familie zu zerstören.

Es wird die Frage gestellt, warum die Außenwelt einen Handtaschendiebstahl mit und ohne Todesfolge so gleich wertet. Es wird eingeschätzt, dass ein Überfallopfer, welches überlebt schnellere und bessere Hilfen erfährt, als ein Überfallopfer, welches an den Verletzungen der Gewalttat stirbt.

Thorsten, der Ehemann von Ana verliert den Sinn seines Lebens. Er bekommt seelische und psychische Auswirkungen, Posttraumatische Belastungsstörungen, verbunden mit Schuldgefühlen, Schlafstörungen, Suchtproblemen, emotionaler Trauer und Überforderung. Er fühlte sich in der Verantwortung, seine Familie zu beschützen und der glaubt, dass er versagt hat. Ihn interessiert nichts mehr richtig. Er verliert sich teilweise in Selbstvorwürfen, Depressionen und Leid. Seine Arbeit interessiert ihn nicht mehr, eigentlich interessiert ihn überhaupt nichts mehr, er würde sehr gerne zu Ana gehen. Sein Leben ist ihm egal. An das Leben seines Sohnes denkt er nicht. Der zunehmende Konsum von Alkohol und Abwesenheit von Zuhause führt zu weiteren Problemen.

Mit seinem Sohn Kasimir ist Thorsten überfordert. Sein Vater Paul lebt mit auf dem Grundstück und nimmt seinem Sohn so viel wie möglich an Verbindlichkeiten ab, vor allem die gesamte Verantwortung für Kasimir.

Paul beobachtet die sich anbahnenden Probleme und Situationen mit gemischten Gefühlen und möchte seinen Enkel Kasimir aus der „Gefahrenzone“ heraus nehmen. Dafür besucht er mit Kasimir seinen ehemaligen Klassenkameraden und Freund, Lothar - einen studierten Antropologen und Psychologen in Berlin. Dieser empfiehlt Paul, mit Kasimir eine Weltreise zu unternehmen. Auf dieser Weltreise soll Kasimir möglichst nur Positives erleben. Er soll Länder auf allen Kontinenten kennenlernen, unterschiedliche Kulturen, Sehenswürdigkeiten und Menschen. Menschen von Familien, die selber unterschiedliche Schicksalsschläge mit Todesfolge erlebt haben. Kasimir findet Freunde und lernt, wie andere Menschen mit so einem Verlust umgegangen sind und welche Ressourcen sie genutzt haben.

Kasimir zeigt ebenfalls Posttraumatische Belastungsstörungen. Er hat Angst vor dem Täter, ihm fehlt seine Mama, er versteht die Gewalttat nicht, er zieht sich massiv zurück und verliert seine Freunde. In der Schule bringt er super Leistungen, reagiert aber schnell aggressiv und gewalttätig. Kasimir nutzt Beratungen über den Schulrat, die Klassenlehrerin und besucht eine Psychotherapie mit unterschiedlichen Therapiemöglichkeiten. Die Schulleitung und die Klassenlehrerin sehen sich in der Verantwortung, zu reagieren. Es werden ein Schulrat und ein Familienrat einbezogen, das Jugendamt informiert. Der Vorschlag der Stellen werden zur Zeit noch nicht gewünscht und nicht genutzt.

Lothar’s Idee war, dass während Paul und Kasimir auf Reisen sind, Thorsten Zeit und Raum für sich hat und seine eigenen Ressourcen entdeckt und entwickeln kann, um wieder Verantwortung für sein Kind übernehmen zu können. Da Thorsten nicht die Kraft besitzt, alleine mit den Problemen fertig zu werden, unterstützt Lothar ihn. Dafür zieht er in der Zeit, in der Paul und Kasimir abwesend sind, in Pauls Haus, auf dem Grundstück der Lehmanns. Thorsten und Lothar freunden sich schnell an. Lothar bietet Thorsten seine Kraft und Fähigkeit, wie Zeit und Raum für Entlastungsgespräche, Stabilisierung und Vertrauensaufbau. Thorsten läßt sich vom Hausarzt krankschreiben, um wieder fit zu werden.

Gemeinsam arbeiten Lothar und Thorsten an dem Alkoholproblem von Thorsten. Über einige Beratungsgespräche bei Suchtberatungsstellen wird eingeschätzt, dass eine Entzugstherapie nicht nötig ist. Thorsten schaffte es aus eigener Kraft und mit begleitender Unterstützung durch Lothar, seinen Konsum zuerst zu minimieren und später komplett auszusetzen. Als Fachmann weiß Lothar, welche Hilfe, in welcher Dosis vorgeschlagen werden können, damit es wenige oder keine Rückschläge geben wird. Lothar weiß, dass die Hilfslandschaft nur vorsichtig und dosiert an Betroffene vermittelt werden darf, um sie nicht zu überfordern oder die Gefahr besteht, dass diese etwas tun, was sie eigentlich im tiefsten Inneren nicht möchten.

Über verschiedene Wege nutzt Thorsten, mit Unterstützung von Lothar Angebote, wie

  • Information und Aufklärung zum Trauma nach einer Gewalttat, und seelische, psychische und körperliche Auswirkungen für den Betroffenen
  • Kenntnisse über Unterschiede der professionellen Hilfen im gesundheitspräventiven Bereich
  • Therapeutische Angebote
    • Traumatherapie
    • Gesprächstherapie
    • Schreibtherapie
  • Koordinierung der Hilfe zur individuellen Selbsthilfe über Austauschtreffen mit Betroffenen und der Betroffenen-Hilfs- und Selbsthilfeorganisation ANUAS e.V.
  • Kenntnisse über professionelle Hilfen im kriminalpräventiven Bereich, wie
    • Krisendienst
    • Sorgentelefon des ANUAS
    • Opferberatung und Opferbegleitung der Hilfsorganisation ANUAS e.V.
  • Beratung durch
    • Polizei
    • Detektive
  • Beratung beim Opferanwalt über Opferrechte und Opferschutz, sowie Opferentschädigungsansprüche
  • Umgang mit der Presse
  • Allgemeine Beratung zum Täter-Opfer-Ausgleich (TOA)
  • Allgemeine Beratung zur Täter-Opfer-Begegnung (TOB) – mit dem Bundesverband ANUAS e.V.

Lothar hat sich mit entsprechenden verantwortlichen Stellen des Schulwesens verständigt und organisiert, dass Kasimir (als Ausnahmeregelung zum Wohle des Kindes) für max. ein Jahr von der Schule befreit wird. Es wurden zwei Bedingungen gestellt:

  1. Kasimir muß danach voll wieder ins Schulleben einsteigen und
  2. Kasimir muß einen größeren Schulvortrag mit Film- und Fotoaufnahmen von seinen Reisen vortragen. Dabei soll er auf alles intensiv und umfangreich eingehen, was er erfahren hat:
  • die verschiedenen Kulturen, einschließlich Sehenswürdigkeiten / Eindrücke dieser Länder und Menschen
  • Religionen, welche von den Menschen genutzt werden
  • Rituale, welche Erinnerungsmöglichkeiten die verschiedenen Menschen nutzen
  • Facetten der Trauer, mit jeweiligen Fallbeispielen
  • Ressourcen, Bewältigungsstrategien – Sinnfindung

Paul und Kasimir unternehmen eine interessante Weltreise und machen optimale Erfahrungen in den Bereichen, die von Lothar angedacht waren. In regelmäßigen Abständen haben Thorsten und Lothar (in Deutschland) mit Paul und Kasimir (in dem jeweiligen Land) Kontakt über verschiedene, mögliche Kommunikationsmöglichkeiten (Skype, Videokonferenz, Telefon). Sie berichten sich gegenseitig von ihren Aktivitäten und erfahren, dass es dem jeweils Anderen gut geht.

Zurück in Deutschland erhält Kasimir die Verantwortung für ein Waisenkind, welches als neues Familienmitglied aufgenommen wird. Kasimir empfindet ihn als Verbündeten mit gleichem Schicksal.

Im Rahmen der Resozialisierung wird der Täter vorzeitig entlassen. Die Familie droht erneut zusammenzubrechen, doch die vorherigen Informationen und Aktivitäten helfen bei der Verarbeitung dieser empfunden Ungerechtigkeit.

Der Täter möchte mit Thorsten und Paul einen Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) in Zusammenarbeit mit der Täter-Opfer-Begegnung (TOB) des ANUAS anstreben. Er unterbreitet einen Vorschlag. Thorsten und Paul nutzen gemeinsam diese Möglichkeit. Kasimir spielt mit dem Gedanken, den Täter ebenfalls sehen und hören zu wollen.

Die Eltern des Täters sind schockiert über das, was ihr Sohn angerichtet hat. Ihr erwachsener Sohn hat sich recht negativ, aus Sicht der Eltern entwickelt. Er war „das schwarze Schaf der Familie“. Die Eltern möchten ein Treffen mit Thorsten, Kasimir und Paul erwirken, im Rahmen des TOA + der TOB. Sie wollen etwas dazu beitragen, dass die Familie ein bisschen Reue und Gerechtigkeit erfährt. Vorschläge werden unterbreitet.

Eine Zusammenfassung zum TOA * TOB * Restorative Justice - aus den Erfahrungen des ANUAS:

Warum ist ein Täter-Opfer-Ausgleich in Mordfällen nicht möglich?

Das Konfliktpotential bei betroffenen Menschen nach einer tödlich ausgehenden Gewalttat ist vielfältig und scheinbar unlösbar.

Ein "klassischer" Täter-Opfer-Ausgleich oder eine "klassische" Mediation in Fällen gewaltsamer Tötung sind nicht möglich.

Der Einsatz dieser "klassischen" Verfahren bei gewaltsamer Tötung ist eher kontraproduktiv und schädlich für alle Beteiligten. In Fällen von Schwerstgewalttaten, wie bei der gewaltsamen Tötung empfiehlt der BV ANUAS e. V. neue Richtlinien zur Umsetzung möglicher Täter-Opfer-Begegnungen bzw. Mediationsgesprächen zu erarbeiten.

Die Grundlagen der "klassischen" Mediation können nicht garantiert bzw. eingehalten werden.

Bereits beim sogenannten sicheren Rahmen ergeben sich die ersten scheinbar unlösbaren Probleme:

  • Warum nicht möglich: Ausreden lassen

Diese Bedingung kann nicht erfüllt werden. In Form einer klassischen Mediation oder eines Täter-Opfer-Ausgleiches werden Angehörige eines Mordfalles das Recht für sich beanspruchen, zu machen, was sie wollen. Was haben sie zu verlieren, sie haben schon das Schlimmste erlebt. Sie befinden sich in einer Ausnahmesituation, aus der – ja nach Zeitablauf – sich Desinteresse und Missachtung für das Schicksal des Täters entwickelt.

  • Warum nicht möglich: Zuhören

Geht nicht! Auch kurzzeitige Versuche, zuzuhören, eskalieren nach ersten Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsversuchen.

  • Warum nicht möglich: Vertraulichkeit

Das Vertrauen bei den Angehörigen gewaltsamer Tötung ist zerstört. Sie vertrauen weder dem Täter, noch anderen Nichtbetroffenen. Vertrauen ist nur möglich zu Gleichbetroffenen, die sich in die Situation und Lage versetzen können. Hier fühlen sie sich verstanden.

  • Warum nicht möglich: 100% Selbstverantwortlichkeit

Seit der grausamen Tat sind die Betroffenen auf sich selbst gestellt. Keiner nimmt ihnen irgendetwas ab, schon gar keine Verantwortung für ein Tun, Reden und Handeln. Diese Betroffenen haben eine Selbstverantwortlichkeit entwickelt, die weit über 100% liegt, damit sie überleben.

  • Warum nicht möglich: Wertschätzung

Nein, eine Wertschätzung ist nicht mehr möglich. Die Betroffenen erfahren selber keine Wertschätzung und Achtung und erleben viel Leid, Stress und Intoleranz, über Jahre. Sie erleben ein nie enden wollendes Schock-Stress-Trauma.

  • Warum nicht möglich: Ich-Botschaften

Ja, die sind gegeben, von Seiten der Angehörigen von Gewalt. Sie wollen sagen, was sie wollen bzw. möchten – die Betroffenen wollen aber nicht hören, was die Täter wollen.

Paul Watzlawick, der Verfechter des Konstruktivismus spricht aus systemisch konstruktivischer Sicht, dass es keine „Probleme an sich“ gäbe. „Probleme“ werden von den Beteiligten konstruiert. Eine Problemdefinition könne das Problem festschreiben, es würde zu einer feststehenden Realität. Man kann eine gewaltsame Tötung nicht ungeschehen machen, aber man kann sich für Fairness einsetzen.

Über viele Jahre und mit Unterstützung einer Hilfsorganisation, die sich auf diesem Gebiet spezialisiert hat und gleichzeitig durch eigene Betroffenheit geprägt ist, ist es machbar, eine langsame Annäherung zu erzielen.

Was ist ein Täter-Opfer-Ausgleich im Rahmen einer Mediation?

Potentielle Gefahren bezüglich ernst zu nehmender Gedanken des Amoklaufes, Lynchjustiz und / oder Suizid gefährden das Wohl der Einzelperson, aber auch die Gesellschaft.

Ein Täter-Opfer-Ausgleich (nach §46 a StGB, 155a,b – geregelt im Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994) ist in Fällen einer gewaltsamen Tötung unmöglich, und trotzdem besteht Aufklärungs- und Gesprächsbedarf bei Opferangehörigen, Tätern und Täterangehörigen.

Des Weiteren ist eine umfangreiche Vertrauensbasis zwischen Betroffenen und einer Betroffenen-Hilfs-Organisation beim ANUAS erkennbar. In diesem Bereich ist eine besondere Förderung der Gewalt- und Kriminalprävention gegeben.

  • Konfliktlösungen zwischen
    • Täter / Beschuldigten und Opfer / Geschädigten (Angehörige)
    • Täter / Beschuldigten (Angehörigen) und Opfer / Geschädigten (Angehörige)
  • die Betroffenen zu mehr und mehr Stabilität, Selbstvertrauen und Selbstsicherheit führen / verhelfen
  • die Täter- und Opferangehörigen und die Täter durch moderierte Gesprächsmöglichkeit entlasten und sich anbahnende weitere Krisen und Belastungen minimieren

Wozu könnte das gut sein?

  • Geschädigte / Opfer
    • können durch außergerichtliche Konfliktschlichtung Ärger loswerden
    • Kosten- und Energieeinsparung für langwierige Gerichtsverfahren
    • Verlauf und Inhalt des Verfahrens kann aktiv mitbestimmt werden
    • Rückgewinnung seines persönlichen Sicherheitsgefühls (z.B. bei ehrlicher Reue – keine Furcht mehr vor dem Täter – Verarbeitung von Ängsten)

  • Beschuldigte / Täter
    • reinen Tisch machen
    • Verantwortung für Straftat übernehmen
    • Wiedergutmachung leisten und ggf. Strafmilderung oder Verfahrenseinstellung erreichen
    • kann mitbestimmen was passiert
    • kann sofort einen konstruktiven Beitrag zur Lösung einbringen

  • Für alle Bürgerinnen und Bürger
    • Vermittlung in Strafsachen bedeutet ein konstruktives Umgehen mit Straftaten und eine gute Ergänzung zur bestehenden Strafrechtspraxis
    • Weitere mögliche Konflikte können entschärft werden.
    • Betroffene mit einbeziehen, um eine bessere, gerechtere und sichere Zukunft zu gestalten, von der alle profitieren.
Was bedeutet beim ANUAS eine Täter-Opfer-Begegnung?

Die Täter-Opfer-Begegnung befindet sich noch am Anfang und muss behutsam angegangen werden.

Bei der Täter-Opfer-Begegnung wird das Opfer (Angehöriger des Getöteten) durch den BV ANUAS e. V. begleitet und unterstützt.

Im Rahmen der Resozialisierung der Straftäter bieten sich gute Möglichkeiten an, den Opfern bei der Bewältigung ihrer schweren Lebenslagen nach der gewaltsamen Tötung zu helfen.

Definition nach Wikipedia:

„Resozialisierung bedeutet Wiedereingliederung in das soziale Gefüge der Gesellschaft. Sie bezieht sich insbesondere auf die Wiedereingliederung von Straftätern in das gesellschaftliche Leben außerhalb des Gefängnisses und ihre Befähigung zu einem Leben ohne Straftaten. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff mit der Erwartung verwendet, dass Straftäter ihr abweichendes Verhalten ändern und sich an die Ordnungs- und Wertvorstellungen (Normen) der Mehrheitsgesellschaft anpassen sollten. Der Rechtsbegriff Resozialisierung verweist auf die Konzepte der Integration (Soziologie) und der Rehabilitation straffällig gewordener Personen.“

Dabei stehen im Vordergrund:

  • Langsam Vertrauen aufzubauen und eventuell gemeinsame Hilfen und Wege anzustreben, das Furchtbare zu verarbeiten und sich gegenseitig Halt zu geben.
  • Die Gespräche finden auf gleichberechtigter Ebene statt. Die Beziehung zwischen den Gesprächspartnern ist die Basis, auf der sachliche Probleme gelöst werden. Wenn die Basis gestört ist, gibt es für beide Seiten keine befriedigenden Ergebnisse.
  • Entlastung und Stabilisierung der Mitopfer

In Mordfällen ist die Beziehung unüberwindbar zerstört. Auf sachlicher Ebene lässt sich keine Probleme lösen. Wie auch? Ein ermordetes Kind z. B. kann nicht wieder lebendig werden, weder durch Gespräche, noch durch Wiedergutmachung. Was soll da wieder gut gemacht werden.

Jedoch wollen Angehörige gewaltsamer Tötung sich mitteilen, wollen gehört und ernst genommen werden.

ANUAS hat individuelle Projekte der restorativen Justiz entwickelt.

 

Was wird beim ANUAS unter Restorative Justiz verstanden?

Toleranter Umgang von Tätern und Opfern ist eine wichtige Form der Resozialisierung beider Parteien. Erfolgversprechend ist eine mögliche Bewusstseinsänderung, sowie eine Verhaltensänderung aller Beteiligten.

Ist ein Täteropferausgleich (TOA) bei Fällen gewaltsamer Tötung möglich und sinnvoll?!

Ist ein Täteropferausgleich (TOA) bei Fällen gewaltsamer Tötung möglich und sinnvoll?!
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